Mittwoch, 9. November 2011

Mal so zwischendurch...

Die Piratenpartei – eine kleine Analyse

von Benjamin Ölke / Samvimes


Was wollen wir ? Der Subtext unseres Parteiprogramms


  • unsere Motivation

Ich werde mir sicherlich schwer tun einen Text zu schreiben der ausdrückt was alle unserer ca. 15.000 Mitglieder denken und fühlen. Dementsprechend wird dieser Text oft eine subjektive Bewertung dessen was ich als Stimmung bzw. Grundhaltung der Piraten wahrgenommen habe enthalten. Eine Bewertung die in die Zeit vor 2009 zurückreicht kann ich nicht vornehmen , da ich erst 2009 eingetreten bin . Wie viele die in dieser Zeit Mitglied geworden sind , habe ich mich durch die zunehmenden Eingriffe des Staates in einen Bereich den ich als meine Privatsphäre empfinde , persönlich angegriffen gefühlt. Was ist die übliche Reaktion auf einen Angriff ? Genau ! Verteidigung und Gegenangriff. Nach einer kurzen Analyse der Möglichkeiten des bewaffneten Wiederstands gegen die Staatsgewalt , habe ich mich aufgrund der anzunehmenden faschistoiden Diktatur die bisher jeder gewalttätigen Revolution folgte , für den politischen Widerstand entschieden. Diese Form des Widerstands haben damals mit mir etwa 10.000 Bundesbürger gewählt.


Doch warum haben sich kurzfristig so viele Menschen dazu entschlossen gegen den Status Quo aufzubegehren und politisch zu werden ? Warum haben sich wie aus dem nichts tausende von Menschen zusammengeschlossen um dem Druck der herrschenden Elite nicht länger nachzugeben, sondern sogar den Spieß umzudrehen und sie an einer der Quellen ihrer Machtbasis anzugreifen, dem parlamentarischen System. Vielleicht war es das immer größer werdende Gefühl der Hilflosigkeit , des wehrlos ausgesetzt sein gegenüber staatlichem Handeln, vielleicht hatten wir auch einfach nur die Schnauze voll das immer und immer wieder entgegen unserer Interessen über unsere Köpfe hinweg entschieden wird wie wir zu Leben haben.



  • unser Auftrag

Jetzt da wir uns aufmachen in den Bereichen der Kernthemen unsere Deutungshoheit im Diskurs zu behaupten und somit dem Status der Elite näherrücken, sollten wir uns diese Motivation immer wieder zurück ins Gedächtnis rufen. So könnte es eine Maxime unseres politischen Handelns sein , das wir den Bürger nicht derselben Hilflosigkeit gegenüber staatlichen Handeln aussetzten wollen die uns erst politisch gemacht hat. Dasselbe gilt natürlich auch auf den sozialen Mikrokosmos unserer Partei bezogen. Wir wollen es also jedem Interessierten ermöglichen im Rahmen seiner Möglichkeiten, in ausreichendem Maße Einfluss auf die politischen Handlungen unserer Partei zu nehmen. Was das konkret bedeutet kann man auf jedem Parteitag und jeden Tag auf den Mailinglisten nachvollziehen. Die Trägheit dieses voll-partizipativen Systems nehmen wir nicht nur in Kauf sondern sehen sie als geradezu notwendig an um ausgewogene politische Lösungen entwickeln zu können. Als Randnotiz sei bemerkt das wir für die Zeit zu der wir in Regierungsverantwortung sein werden , voll-partizipative Werkzeuge entwickeln müssen um auch bei administrativen zeitkritischen Entscheidungen unserer Philosophie Rechnung tragen zu können.


Die Transparenz die wir fordern ist natürlich nur aus reinem Selbstzweck notwendig, sondern sie ist das maßgebliche Werkzeug um Partizipation erst zu ermöglichen. Der selbstbestimmte mündige Bürger den wir als atomare Zelle eines politischen Systems sehen, kann ja nur eigenständig und konstruktiv an der Gemeinschaft Dienst tun ( und damit auch an sich selbst ), wenn er Zugriff auf alle notwendigen Informationen hat.

Hier besteht allerdings auch Nachbesserungsbedarf herauszustellen welche Informationen tatsächlich notwendig sind und welche für die Entscheidung eines gegebenen Problems die Komplexität lösungsirrelevant erhöht.

Die Maxime die sich nun aus dem Punkt der Transparenz herleiten lässt besagt das wir nicht nur die Entscheidungen die wir treffen für die von ihnen betroffenen nachvollziehbar machen, sondern auch den Prozess der zu ihrer Ausgestaltung geführt hat.


  • Die Intelligenz des Schwarms


Was sind denn nun die Vorteile der zwei Eckpfeiler unserer Philosophie und den von ihr abgeleiteten Maximen ? Um das zu beantworten muss man nochmal auf unsere Kritik am Status Quo zurückkommen. Die Herrschaft der Wenigen über die Vielen wie sie in unserer Gesellschaft seit Jahrtausenden praktiziert wird , wird durch die informationstechnologische Revolution in Frage gestellt. Die politischen Eliten haben Netzwerke und Strukturen gebildet die an der Lebenswirklichkeit der Massen deren Alltag sie verwalten in zunehmendem Maße vorbeigehen. Die Lösungen die sie anbieten um auf die gesellschaftlichen Herausforderungen dieser neu angebrochenen Epoche einzugehen, zeichnen sich durch eine Realitätsferne aus die dem Bürger selbst die minimalen Einflußmöglichkeiten auf den politischen Prozess verleiden. Belegt ist diese Entwicklung durch eine konstant niedrige Wahlbeteiligung welche regelmäßig nur 50-60 % der Wahlberechtigten an die Urnen treibt. Die daraus resultierende Gefahr für unsere Demokratie wird gebetsmühlenartig klein geredet , als ob eine 50% Zustimmungsrate zum parlamentarischen System nicht Grund genug wäre an der Stabilität unserer Gesellschaftsordnung erhebliche Zweifel zu hegen.

Wir Piraten betrachten diese Entwicklung mit steigender Sorge und haben deshalb Prozesse und Lösungen entwickelt die es dem Individuum ermöglichen aus der Diktatur der Institutionen auszubrechen , und den Staat und den Bürger wieder zu versöhnen um so die „Herrschaft des Volkes“ oder Demokratie wie sie auch genannt wird in der Art zu errichten wie es ihre Wortbedeutung verlangt. Dabei richten wir unser Handeln weder an kurzfristigen Trends noch an überholten Dogmen aus, sondern verlassen uns lieber auf kritische Analysen unterstützt durch einen offenen lösungsorientierten Diskurs.


Der Vorteil der sich nun durch Partizipation ergibt ist relativ offensichtlich. Je mehr Teilnehmer eine Debatte hat, umso mehr unterschiedliche Sichtweisen auf ein Problem finden Einfluss in die Diskussion. Nach einer anfänglichen Aggregationsphase verdichtet sich die Analyse des Problems und die gefundene Lösung hat durch ihre vielfältigen Einflüsse ein breites stabil konstruiertes Fundament.

Der Vorteil den Transparenz bietet findet auf zwei Ebenen statt. Auf der persönlichen Ebene versachlicht sich die Debatte wenn jeder Teilnehmer die Motivation jedes anderen nachvollziehen kann eine bestimmte Position einzunehmen . Durch diese verringerte Emotionalität wird der Aufbau der Argumente in den Vordergrund gerückt und unnötige Polemik vermieden.

Auf der strukturellen Ebene bietet Transparenz die Möglichkeit über Synergieeffekte ungenutzte Potentiale auszuschöpfen und so einen Mehrwert zu schaffen, der über die Summe der Einzelleistungen hinausgeht. Kurz gefasst, Nachvollziehbarkeit fördert Akzeptanz und Offenheit fördert Innovation

Wie kommunizieren wir ? Diskussionsvielfalt nach innen, Inhaltsleere nach Außen


Eines der größten Probleme vor dem ein angehender Neu-Pirat steht ist sicherlich die Einarbeitung in unsere Kommunikationsstruktur. Das Gewirr aus Newslettern, Webseiten, Wikieinträgen, Mailinglisten,Foreneinträgen und Tweets stellt eine nicht zu unterschätzende technologische Hürde dar, die technologieferne Menschen stark in ihren Möglichkeiten der Mitarbeit beschränken kann.


Oft werden wir „auf der Straße“ gefragt wie wir zu diesem oder jenem Thema stehen und unsere Antwort ist immer dieselbe. Nach einem Verweis auf unser Parteiprogramm und auf auf Parteitagen beschlossenen Positionen, müssen wir bei vielen Themen eingestehen das wir keinen Standpunkt dazu haben. Das viele Menschen nicht die internen Diskussionen zur Positionsfindung und Inhaltsgestaltung mitverfolgen , zeigt das wir noch Schwächen in der Kommunikation nach außen haben. Dies liegt nun wirklich nicht darin begründet das wir nicht genügend Informationen produzieren die nach außen gelangen könnten. Es ist vielmehr so das es in der Partei eine 2 – Klassen Gesellschaft gibt. Die mit unserer Arbeitsweise vertrauten Alt-Piraten haben sich in den letzten 2 Jahren aus ihren persönlichen Gewohnheiten heraus Strukturen geschaffen deren Nutzung zwar wenig technologisches Fachwissen voraussetzt, deren Dynamik allerdings für Außenstehende schwer einzuschätzen und erst über erlernte Erfahrungswerte begreifbar wird.


So sind zum Beispiel viele Leute nicht mit der Funktionsweise einer Mailingliste vertraut oder wissen nicht wie man das Wiki richtig durchsucht. Dazu kommt das wir keine Zentrale Kommunikationsachse haben die sich durch die gesamte Partei zieht, wenn man von der Aktiven-Mailingliste mal absieht, aber diejenigen die sie noch abonniert haben werden mir wohl zustimmen das sie als ernst zu nehmendes Werkzeug untauglich ist.


Die redundanten Strukturen der Informationsgewinnung(Programmarbeit/Fachrecherche) und Verteilung über parallel laufende Kommunikationsprozesse bieten zwar den allgemeinen Vorteil der Redundanz, nämlich Ausfallsicherheit, die Masse an angebotenen Informationen kann aber leider auch überfordernd wirken. Ein Satz der dies wie kein anderer Veranschaulicht ist das inzwischen schon fast geflügelte Wort „Wenn du was verstecken willst, stecks in Wiki“, der sich aber durchaus auf die Gesamtheit unseres Informationsflusses übertragen lässt.

Aufgrund dieser Kakophonie des unbeschränkten Informationsflusses ist zu überlegen ob und wie man Strukturen etablieren kann die den Output der Parteiarbeit auf eine Art und Weise verdichten die zu jedem Zeitpunkt ermöglicht unkompliziert, soll heißen ohne technische Vorkenntnisse, und zeitnah spezifische Informationen verfügbar zu machen.


Vorstellbar wäre hier ein Stab an Kommunikationspiraten die länderübergreifend vernetzt die Arbeit von autonom arbeitenden Gruppen miteinander verbinden und als Schnittstelle sowohl für die Programm- als auch die Verwaltungsarbeit dienen. Um dieses Prinzip zu verdeutlichen ist der strukturelle Aufbau von Diaspora evtl ein gut gewähltes Beispiel.


Warum dieser Text ?


Weil ich Lust drauf hatte ;-) Ich finde er stellt eine schöne Diskussionsgrundlage dar.

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